Zur Frage „WAS IST NOTWEHR?"
Zuvor einige Schnaufer
aus verächtlicher Gewissheit. Die Frage, die wir ständig erwarten & gerade
darum nie vorbereiten, wird auch ständig gestellt. Sie saust wie die Durchfahrt
der letzten U-Bahn an uns vorbei.
Pamphletistische
Spitzen im Stil eines Schattenboxens
0.
HOHNGELÄCHTER
"Zähne klappern viel heutzutage. Die Funktion der Kunst in unserer
heutigen Gesellschaft läßt den Verdacht aufkommen, daß selbst der Künstler
gleichsam der ausgeformte Spezialist für experimentelles Aussteigen, sich Negationen
der Gesellschaft und einem allgemeinen Prinzip der industriellen Dynamik des Verwertungsprozesses
nicht mehr entziehen kann."
Diesen Wahnsinnsinnsatz glatt aus dem Ärmel geschüttelt spricht
Agnes Vennen von Satzteil zu Satzteil wie in einem durchzuckenden Denken als
Antwort auf die so grausame Ständigkeitsfrage (Was ist Notwehr?) in einem Interview,
das sie mit mir vor der RA.M.M./ ZATA-Lesung 'HARTE ZIELE WEICHE ZIELE' Anfang
ds. Js. (1990) für zitty-radio gab. Dort sollte sogar, nuschelte man, eine unkontrollierte
Bedeutung von Wörtern wieder möglich sein, was jedoch bei einzelnen in heiligen
Schläfrig & Behäbigkeiten verendete, weil sie ihr ach so bedeutungsvolles LITERATUR-ICH
auszukosten probierten. Ich im z.radio: "Ja, das mit den Texten ist so ein
Problem, gerade wenn wir sie nicht abgesprochen haben, die Texte, was selten
der Fall ist, daß wir sie absprechen, wir schreiben sie, aber sprechen sie
nicht ab." Und Wahnfried in "Unwesentliches aus dem Krieg der Nerven"
schreibend mit dem Beil gegen die Besserwisser der Klassifizierung und
Fanatiker eines Linienprogramms hier - höhnisch ankreischend die Erzbornierten:
"Was sagen Sie da? Leitsätze Leitsätze? Wir seien hier verpflichtet
Leitsätze festzulegen abzustimmen zu normieren? Halten Sie sich nicht für eine
ziemlich miese kleinkarierte dreckige Figur ?" Mirwa (der auch dabei war,
aber schwieg) ließ noch einen Reiseruf an Weyrich (selig) los, aber in den unbestimmten
Galaxien von Schwerelosigkeit, in die hinein Weyrich unbekannt verzogen ist,
gibt es noch keine freien Frequenzen.
1. KLEINE ENTLARVUNGEN
Zurück zur Regel. Weil die zusammenhängenden Menschen fehlen,
entfallen auch die zusammenhängenden literarischen Aktionen. Es wollen die
Schreibenden ja alle allein sein und ihre Heiligkeiten auf Werbeflächen einer
Himmelreichsbeförderungsreklame sehen. Hoffend warten die Noch-Nicht-Entdeckten
vor ihren prallen Laden auf das renommierte Großverlagsangebot, das sicher bald
in ihrem Briefkasten flattern wird und bekommen vor Ruhmeszittern Krampfadern.
Aber das sind nur Köder für die letzte Einbalsamierung. Verandaträume
scheinheiliger Duftpoeten in der Tiefe der Parfümerien. Ruhe Sanft! Ähnlich
Stammtischbrüdern und Nähschwestern sitzen sie im Klatsch beisammen, ihr
unwesentliches Kulturgeschwätz zu versprühen. Es ist sehr leicht, das Ausgezeichnete,
was sich als solches bereits herausgeschält hat, als Ausgezeichnetes zu
erkennen, vielleicht zum K.U.L.T. zu erhöhen, wie es leicht ist, ausgesprochenen
Dreck als Dreck zu erkennen. Den riechen selbst Riechbehinderte. Aber das
Besondere im Verschütteten zu sichten, das Entwicklungsfähige, das Schillernde
unter der verschlossenen Blüte - dafür bedarf es eines leuchtenden Blicks!
2.
SCHWEIGEREI, VON OBSZÖNER WUNDE FLANKIERT
Allein einem Streit scheint niemand mehr gewachsen. Immer hübsch
ruhig mit der Idee eines Möchtegernflegels und nur nicht eingreifend unter den
Schutz von weißen Laken kriechen, die zuvor vielleicht sauber waren, aber stets
ekelerregend danach. Denn wo die einen ihre Muskeln spielen lassen, pumpen
andere sich des Schweigens voll, armselig im Taumel des
Sich-für-besser-haltens. Aber das Schweigen ist, was die Geschichte zeigt,
verwandt dem Bösen. Es glaubt nur, es hat nicht teil, glaubt, es sei
unbeteiligt, bleibt jedoch ebenso verstrickt, wie der Lärmende, der
Betriebsame. Nur besteht für die ruhigen, die stillen Schweiger im Zuge einer
distanzierten Erhöhung die Gefahr, eine Kritik des Außen als Ideologie für ihr
rein privates Interesse zu mißbrauchen. Auf niedriger Ebene brummelt es irgendwann
Unzufriedenheit. Um plötzlich wie von einer rachsüchtigen obszönen Wunde
flankiert Vorwürfe gegen den Koch, der ihnen überhaupt ermöglichte an der
geheimen Wanderung im verbotenen Bereich teilzunehmen, in der lächerlichen Form
sozialer WGwehwehchen auszustülpen: "Du hast wieder nicht
abgewaschen." Fast alle Schweiger sind dyspeptisch! So wird ein Impuls von
Bewegung oft von Attacken des Lahmlegens behindert, worauf die Außenstehenden,
die ja immer nur wollen, daß nichts ist, nur warten. Daher mit Benjamin: "ZUR
RETTUNG GEHÖRT DER FESTE SCHEINBAR BRUTALE ZUGRIFF." Zuweilen. Nur
lohnt sich dieser Energiestreit, die Beschwörung eines kalten Kraches schon
längst nicht mehr. Denn die hierfür das übliche Gelächter erbrechen, sind entweder
jene kleinen unbedeutenden Geister, denen bereits die Knie schlottern, wenn sie
außerhalb ihres Intimkreises, wo sie die private Grüppchendynamik nicht stärkt,
einen eigenen Satz sagen sollen und dann in einem Anzug versinken, der ihnen
viel zu groß ist. Aber das sind nur unbedeutende Episoden aus dem Krieg der
Nerven. Deswegen braucht niemand die Krallen der Strategie auszufahren. Die
Entartungen sind leicht lokalisierbar, bewegen sich meist im Umkreis wohlgeratener
Menschen. Die Knochensplitter ihrer zahmen Existenz lassen sich mit kleiner
Geste - oft mit einem Nachfragen bzgl. ihrer aufs erste grandios klingenden
Wegwischbemerkungen - bloßlegen. Mit 400%iger Zoomverkleinerung gähnt einen nur
noch Leere an. Was sie selbstredend gut können, ist mit ihren Gebissen zu
klappern. Zum selben Sonderangebot überbietet sich jener schauerliche Zwitter,
der unter dem Vorwand - ja auch leben zu müssen - längst für die großmediale
Werbung von Pharmakonzernen eintreten (und darum hier nicht mehr mitmachen
dürfen). Andere fahren lieber Kühlschränke aus. Sic! Egal. Mir ist, auch ohne
der Tradition einer kritischen Theorie verpflichtet zu sein, natürlich klar,
daß es aus der Verstricktheit keinen Ausweg gibt; nur Seitenwege, Korridore,
Schächte. "Das Einzige", so Wiesengrund, „was sich verantworten läßt,
ist den ideologischen Mißbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen".
Seien wir nicht zu pessimistisch: WAS KOMMT WIRD AUCH WIEDER VERSCHWINDEN.
3. AUFRUF AN DIE LETZTEN FLACKERNDEN NERVEN
"Die literarischen Prozesse schlummern in einer furchterregenden
Ruhe." Erschreckend ist (auch in den eigenen Reihen) die Armut von Ideen,
bzw. die Armut in der Phantasie einer Umsetzung von Ideen. Und zu verachten
nochmals all jene, die ihre Texte lediglich gedruckt sehen wollen, gleichwo.
Solch eine Stagnation gilt es, um sich erneut/ endlich in Bewegung zu setzen zu
entwischen, was zweifelsohne mit dem Blick, einer Aussicht auf außerordentliche
Erschütterungen verhaftet sein müßte und sich keineswegs nur im rein
literarischen Bereich abspielen dürfte. Innerhalb solchen Rahmens wäre die Unfruchtbar-
& Behäbigkeit der Literatur die sicherste Bewegung. Zweifelsohne halten wir
uns für die legitimen Erben einer abseitigen Literatur, die schon immer in
winzigen stachligen Schlupfwinkeln hauste, gelegentlich auch im Winterschlaf -
zugegeben. Aber solange unsere Energie Phantasie Worte noch nicht verbraucht
sind und dabei zuweilen ein sprühender Gedanke ein blühender Satz aus dem
erbärmlichen Schlamm einer Abwässerzufriedenheit emporsteigt, solange sind wir
nicht tot. Nur von dieser nicht zugeschütteten Energie leben diese Blätter, die
ich weiterhin gewillt bin, allein darum als Experiment zu betrachten.
Vielleicht aber ist der krebswuchernd um sich schlingende Allschlummer nicht
aufzuhalten, und "Die Zeit des Wortes (Gramberg) ist – tatsächlich -
gegangen,..., die Sprachnacht weiß nicht ein noch aus." Vielleicht aber
rasen die letzten flackernden Nerven stets an den Anschlußsynapsen vorbei.
Worte Sätze Köpfe, die sich nur noch an den Computerschnittstellen der mit
Geheimnisaufträgen ausgerüsteten Bediener treffen. Wir könnten, so Wenzel, im
nächsten Diskurs schon wegkopiert sein.
Darum,
weil wir Wert darauf legen, uns vom Gemurmel der Schmeichler und Bücklinge
nicht vollkommen einlullen zu lassen, wird der Weg einer durch die Wüste sein.
Alle Wasseranbieter in irgendwelchen Oasen sind überlebenswichtig." (ghw).
Sanft gleiten kommende blutige Tänze in der Verpackung einer Fata Morgana
zwischen die Splitter meines Schädels.
paul
m waschkau for headquarter MINERVA als edit 15 # BERLIN 1990