„Diese Anpflanzungen
sind zum Schutze des Publikums empfohlen." (Walter
Benjamin)
i n t e r n / e x t e r n
Die Brut
der Ungeheuer wuchert weiter. Ob sie aus dem
Ei des Nichts gekrochen kommen, aus den Exzessen der Vernunft, oder ob wir sie
gleichsam liebevoll zu Monstern heranzüchten, damit sie uns ein Grauen auf
Kredit gewähren, bleibt unentschieden. Schließlich könnte es sein, daß die
Dinge ganz anders liegen und wir von Anfang an mit unfehlbarer Sicherheit auf
der Intensivstation des erstarrten Schreckens für eine Zeit in der Hölle
präpariert werden, in der wir längst sind. Das jedoch ist ein altes
philosophisches Problem und führt direkt in den Kontaktbereich des Anderen: dem
Körper, dem Sprechen, dem Schreiben. Wer diese ungeheure Ausgabe in den Händen
hält, weiß schon, daß einige Texte und das Gespräch mit Dietmar Kamper eine
Wanderung im Kerker schauerlicher Zwitter ausprobieren.
Aufschrei
der Toten. Hölderlin im Turm. Kant in
Königsberg. Artauds Kreischen und Theater, die Frau mit dem Kopf im Gasherd.
Und schon vor einem Jahrhundert, mit den Augen eines Irren die Umarmung der
geschlagenen Kreatur. Briefleichen. Warum Kant nicht durch die Wüste ritt.
Jahre später: Das Bad in einer Naumburger Pfütze. Entblößung. Heimwärts wandelt
das hirnerweichte Genie (Luetische Infektion) an der Hand eines Uniformierten.
Das schafft den Steg für einen Übergang. Alles ist bereits da, nur nicht voll
entfaltet. Keine Sorge. Bald eröffnen sich Planstellen für Kontrollbeamte
wissenschaftlichen Geräts. Jedem Reagenzglas seine Uniform, jedem Eingang zu
einem geisteswissenschaftlichen Institut eine Lichtschranke, jeder Hegelgesamtausgabe
eine Videokontrolle. Bewachung. Wissenschaft. Wirtschaft. Längst wächst die
Zahl der Unsichtbaren in Vorlesungen und Seminaren, den Ideensitzungen eines
Streikkommandos, was mit keinem historischen Vergleich nichts mehr gemein hat.
Das pädagogische Programm verkündet die Aufzucht steriler Glätten, die
Idiotie eines auf ein Staubkorn eingegrenztes Wissen, gezügelte Einbildungskraft.
Da zerstückelt das Unkraut verwüstender Gesetze, was nicht in die Form paßt.
Jetzt weg
mit dem Gedusel. Daß
der studentische Streik auch dagegen aufstand, erzeugte endlich spannende Lebendigkeit,
die mit phantasiereichen Aktionen den Beweis erbrachte, daß die freilich noch
unausgegorenen Träume eines anderen (wissenschaftlichen) Zustandes keine
uneinlösbaren absurden sind, sondern machbare. Aber die Zombies in den
Machtzentralen der Gradlinigkeit, die sich versteinert eingemauert haben,
zucken schon die Hebel der Gewaltspirale. Wie die Operation endet, wird sicherlich
vom Traum des UNiMUTES abhängen, der über den Kongreß hinausreichen muß.
Auf dieser Basis ist MINERVA das vielleicht
kontinuierlichste autonome Notwehr & Philosophie-Seminar, das auf Seitenwegen,
wenn auch verschachtelten, versucht, dem Denkschrott einer heruntergekommenen
Analysefabrik zu entwischen. In den Zeiten studentischer Stille galt unsere
Energie der Durchkreuzung des Schlafs an den Pfeilern der Einengung. Jetzt, im
Zentrum der Turbulenz, die wie ein Blitz sich löste, müssen erst die Tendenzen
gesichtet werden. So sind im Zuge der Streikigkeiten ca. einhundertfünfzig Exemplare
unserer letzten Nummer 10, Ende 1988, die im Zeichen einer Permanenz des Ausnahmezustandes
stand, sanft spurlos aber sicher dringend benötigt, aus dem Büro für
PhilosophieInitiativen verschwunden. Diese Begeisterung inszenierte Freude,
drängt andererseits dieses auch kostenintensive 'Notwehr-Projekt' in die Zone
des finanziellen Absturzes, womit die Außenerhöhung des Preises auf DM Drei begründet
wird. So seien alle FREIleserInnen gefordert die Anonymität des Kontos (siehe
(Impressum) zu nutzen!
Das
Buchstäbliche wird zum Barbarischen. Deshalb ein Schwall von Belehrungen. Immer wieder zeigt sich,
daß wer auf die Tränendrüse drückt, um Traditionen zu erhärten, nur den
Stillstand fördert. Das Argument zur Sache, eine beißende Kritik, ein weisender
Vorschlag - hervorragend! Aber im Innern eines metaphysisch-empirischen Textprojektes,
ist mit einem Satz, der alles sagt, noch nichts getan. Doch "schon
immer", dies mit F. Nietzsche, "stand der Schaffende im Nachteil
gegen denjenigen, der nur zusah und nicht selbst Hand anlegte." So blicken
die Strategen der Diskurse im trägen Halbschlaf sich um und sehen nichts. Was
ist los? Hält das Nervenkostüm nicht mehr? Zerreißen die Eingeweide am Rande einer
geschwätzigen Kunstrauschsendung? Man versteht überhaupt nichts. Wird man in
der schnellen Verpackung des Feuilletons nicht zum Greis? Stille.
Dann Korrektur. Ein 'mit aufrichtigem Entsetzen'
signierter Brief eines Wiss. Ass. am Inst. f. Phil. der FU erreichte uns, der
Privatkorrespondenz verlangte. (Ha.) Statement: Der Phil. Comic Die
Geltungsnorm mit dem Protagonisten HabermUs mache Habermas verächtlich, zudem
gebe es jenen Begriff bei Habermas nicht. Sehr richtig. Der entstammt dem Werk
K.O. Apels. Unbemerkt dagegen blieb der Kardinalfehler der letzten Nummer. Der
Aufsatz "Der Fall Heidegger / Ein Angriff und eine Verteidigung"
(1949) fiel aus dem Hirn des Feuilletonphilosophen LUDWIG Marcuse statt jenem
von Herbert.
Alles endet in einem großen Rauschen.
Die grade Linie fließt nicht durchs
Programm.
Dem Fluch des Sinnenverschlußes zu
entkommen, bleibt als Aufgabe zurück.
Ins Gehör und in die Sinne weniger einzudringen,
wäre schon ein Erfolg.
edit für MINERVA 798/799
BERLIN Frühjahr/Frühsommer1989 by hq der red. #