Zur Monstrosität der Zeit

Haben wir uns in der letzten Ausgabe mit Monstro­sitäten der Philosophie beschäftigt, so ist nunmehr die Monstrosität unserer Zeit westlich-industrieller Zeit­taktrechnung Thema. Die Abwehr zunehmender Hilflosigkeit erheischt ein Verstehen der Epoche, doch die scheint sich nicht auf sich verstehen zu wol­len. So verhalten sich Tat und Absicht rudimentär zu­einander, im Banne gegenseitigen unendlicheren Begehrens, wie nahe auch immer sich die Protago­nistInnen sein mögen.

 

Unheimlicher und feiner noch tickt das Jahrhundert seinem Ende entgegen. Die Komplizenschaft der großen Übersicht, der großen humanen Verspre­chungen mit den rechnerversorgten Kommandan­turen der Nützlichkeit macht die pathetische Rede von Würde und Ehre, die Nachricht von diesem und jenem, zur zynischen Verwaltungsvorschrift heroischer Opferungen. Den Showplatz Seoul trennt vom Opfer terroristischer Staats-Medien-Macht nur die fehlende Einsicht in die Erzeugungsweise kollek­tiver Hysteria, deren zusammengeschaltete Egois­men (kollektiven) Widerstand nur als Bedrohung mitten in der 'Gefährlichkeit der großen Ebene' identifizieren können. Das sich in hoffnungslose Ver­lassenheit zurückgezogene Gesicht der Silke B. anzu­beten und die Hungernden in ihrem Opfer-Sein Opfer gewesen sein zu lassen, sind die erwünschten Effekte tabuierter zwischengeschalteter, serieller Multiplikatoren unter einer Diktatur von Symbolen. In der Gewalt der Technologien gebären die Träume des antizipierten Übermenschen Überbietungsphan­tasien des Ausnahmezustandes in dem nichts mehr geht, aber alles möglich zu sein scheint in Bildern apokalyptischen Terrors, in denen das scheiternde Verlangen nach sich im Prozeß der Abschaffung der Individuen in tödlich aggressiver Manier nachvoll­zogen wird. Der unnahbaren Attraktivität entspricht die unverletzbare Durchschlagskraft.

 

Die materielle Produktion gewinnt im Konkurrenz­kampf der Beschleunigung den Status eines legitimen Krieges frei florierender Ideen. Im permanenten Bildwechsel verschwindet jeglicher Zusammenhang, die Gegenwart dehnt sich ins Unendliche und ver­schwindet, denn nichts bleibt, warum nichts zu ent­scheiden ist. Die Herstellung unendlich geteilter dis­parater Bedürfnisse führt zum orientierungslosen Dezisionismus. Die scheinbar irrealen täglichen Kriege finden statt im Zuge der Abschaffung jeg­lichen kollektiven Gedächtnisses. Daher der Drang des partikularen, bornierten Bewußtseins, sich noch mit der grausamsten Handlung ein Monument zu er­stellen. Umgekehrt ist das Versprechen der New­AgerInnen 'Alles wird gut', ebenso wie der Fatalis­mus eines 'Es geht eh zu Ende', so zeitlos, wie nur irgend jemand in Askese völlen kann.

 

Die Texte dieses Heftes sind Beiträge zur Monstrosität der Zeit, wie sie Schlag­lichter zum Projektthema 'Notwehr' werfen.

 

edit No.10/ENDE 1988 by Friedrich Fatal