Georg Wahnfried # KONSERVIERUNG – EINE FRAGE DES MAKE-UPs? Vorstellung des Theoriebuches mit Beiträgen
von:
Vera Bourgeois; Vilem Flusser; Martina Koch; Michael
Lingner; Pierangelo Maset; Karl Josef Pazzini, Lyotard; Paul
M Waschkau
georg
wahnfried
Eine Frage des Make-ups ?
Gegen Heraklits Erkenntnis um die Veränderlichkeit der Dinge in
der Zeit hat die menschliche Zivilisation Methoden entwickelt, den Verfall
aufzuhalten. Die Methode heißt "Konservierung".
Unter diesem Titel ist im Michael Kellner Verlag Hamburg eine
Textsammlung erschienen, in der gleichermaßen Theoretiker, Künstler und ein
Dichter philosophische Aspekte und kunsttheoretische Praxis des Begriffs
umreißen. Grund war eine mehrmals inszenierte Ausstellung gleichen Titels mit
Vorträgen und Lesungen u.a. in Gießen, Kassel und Hamburg.
Über den Opferweg "Maßnahmen gegen die Verwesung"
gelangen wir zusammen mit einem erlegten Tier und Karl Josef Pazzini ins
Museum, weil dieser Jochen Hildebrandts Buch "Präparieren von Beutewild
und Trophäen" gelesen hat:
"Eine Präparation ist möglich, wenn ein erbeutetes oder gefundenes
Tier schnell dafür vorbereitet werden kann, denn je nach Witterung beginnt bereits
wenige Stunden nach dem eingetretenen Tod die Verwesung. Es steht also zu
befürchten, daß das Tier aufhört, ein Wesen zu sein. Und so wird es für jedes
Objekt eine entsprechende Zeit geben, wo es aufhört, ein Wesen zu sein, also
nicht mehr fähig ist, ein Ausstellungsstück zu werden. Bei Tieren und nicht nur
da beginnt die Verwesung in den Bereichen des Magens, des Darms, des Afters,
der Augenregion und der Kehle. - Sollte eine baldige Bearbeitung nicht möglich
sein, ist eine Lagerung in der Tiefkühltruhe erforderlich."
Wie im Ausstellungsprojekt "Konservierung" geht es
zunächst um Ausstopfung. Denn Martina Koch - neben Pierangelo Maset Mitherausgeberin
des Buches (wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich für
Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg und u.a. mit dem
Bundesförderpreis für Bildende Kunst ausgezeichnete Künstlerin) hatte während der Dauer
von vier Jahren das "Schlüsselverzeichnis für die Angaben zur Tätigkeit
in den Versicherungsnachweisen - Ausgabe 1973, hrsg. von der Bundesanstalt für
Arbeit" in riesige mumienähnliche geheimnisumhüllte Schlafsäcke hineingestopft. Lauter unzählige Codeworte
für seinerzeit ausgeübte Berufe, die es schon längst nicht mehr alle gibt.
Doch auch das Ritual der allmorgendlichen Wiederkehr vor den
Spiegel im Badezimmer, die Salbung der lebendigen Haut, die der Einbalsamierung
von Leichen ähnelt, das Einfrieren von Speisen, Räuchern von Fischen, der
Rostschutz, das Lackieren von Fenstern und Autos, das Einkochen, das Sammeln,
das Zurückschauen, das Verweilen, das Steife und das Verstaute uvm. umkreisen
gleich der Schrift als Spur in der Zeit die Konservierung wie die Ausstellung
als Form der Präsentation von Kunst.
Einig sind sich alle theoretischen Beiträge in einem Punkt. Der
Eingriff in ein Werk - ob Kunst oder nicht Kunst - zum Zwecke der
Konservierung, verändert unter allen Umständen das Werk, das daher nie mehr
dasselbe sein wird wie zuvor. Denn der behutsamste Eingriff in ein Werk zum
Zwecke der Konservierung ist ein Eingriff und damit eine Veränderung des ursprünglichen
Objektes. Konservierung als Strategie der Zustandsbewahrung durchkreuzt
somit die Konservierung an sich. Die Konklusion ließe sich als ästhetische
Unschärferelation begreifen.
So wird der Akt der Konservierung zu einer Weise der Bemächtigung
in Form eines Eingriffs, speziell eines Versuchs, Macht zu gewinnen über die
Zeit, über den Akt der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit von Objekten. Eine
Maßnahme mit dem Willen, die Ordnung der Dinge in der Zeit zu erschüttern, die
Zeit aufzuhalten, sie langsamer zu schalten, sie außer Kraft zu setzen.
Sind
Verluste zu beklagen? Und spielte das in einer Ära der Ästhetik des
Verschwindens überhaupt eine Rolle?
Nun ist die Tendenz, in der Kunst eine Ästhetisierung des
Verschwindens zu betreiben, eine Angelegenheit, die Sache, die Werke aus dem Reich
der Kunst zu konservieren, eine andere. Wer aber die Ästhetik des
Verschwindens mittels praktischer wie theoretischer Konservierung zu betreiben
versucht, ersinnt Strategien, die den Schlaf der Konserve zu stören wünschen,
weil sie den Schlaf - vielleicht - für eine Weltanschauung halten. Konservierung
kann aber auch einem Akt der Zerstörung gleichkommen. Sie kann einem Objekt
die Geschichte austreiben. Sie wird dann zu einem Angriff der Gegenwart gegen
die übrige Zeit.
Was muß darum und was kann, fragt Martina Koch, überhaupt haltbar
gemacht werden, damit der ästhetische Gehalt eines Kunstwerks erhalten bleibt
? Diese Frage zu beantworten, heißt das Spannungsfeld in der Differenz des
Ästhetischen zwischen dem Materiellen und Immateriellen aufzubauen. Denn daß
das Ästhetische nicht nur mit der farblichen Konsistenz eines Objektes
identisch ist, akzeptieren wir. Es geht - zweifelsohne - über das Ding hinaus.
Wie weit aber reicht es?
In der zeitgenössischen Theoriedebatte nimmt man gemeinhin an, daß
das Ästhetische eines Werkes sowohl in der immateriellen Aura des Objektes
schwebe als auch, daß es zu einem spezifischen Entscheidungsprozeß im
Bewußtsein des Rezipienten kommt. Wie aber kann es, hinterfragt Michael
Lingner die sichtlich wacklige Position, dann noch möglich sein, das Ästhetische
durch Konservierung zu retten ?
Diese - bis heute - die ästhetische Theorie in Atem haltende Differenz
des Materiellen und Immateriellen und ihre allgegenwärtigen Konnotationen
verdeutlicht vielleicht am besten der monströse Aufbau von Apparaturen, den
1986 der französische Philosoph Jean Francois Lyotard für die im Pariser Centre
Pompidou inszenierte Ausstellung "les immateriaux" betreiben mußte, um das Immaterielle als
Immaterielles ins Bewußtsein des Besuchers zu schummeln. Lyotard fragt aber
auch, ob die Idee des Ästhetischen als Immaterielles überhaupt bestehen
könne. "Kann man denken ohne
Körper ?"
Lyotard antwortet mit einem entschiedenen NEIN. Dagegen könnte der
tschechische Philosoph Villem Flusser Lyotards Frage, weil er den "Schein
des Materials" deklamiert, durchaus bejahen. Für Flusser ist es
überhaupt erst das Immaterielle, das in Form der Form oder der Idee, das
Materielle hervorbringt.
Auch wenn Pierangelo Maset zum Abschluß des Diskurses die Anstrengung
unternimmt, eine theoretische Metaebene über den Begriff zu erklimmen, entsteht
die kunsttheoretische Spannung des Buches erst durch die Verdrillung der
einzelnen Texte. Kontrovers zu Hegels Diktum über das Ende der Kunst gelangt
Maset schließlich zu der trivialen aber zauberhaften Formel:
"Nichts läßt sich besser konservieren als die Kunst. Sie ist
das Konservierendste und das Konservierteste, das wir haben. (...) Gleichzeitig
ist der Traum der Konservierung ein Traum der Zivilisation, ein Traum, der sich
konservieren läßt, so wie es immer der Traum ist, der sich konservieren
läßt."
Als Schmelztiegel des Buches rangiert jedoch eine kleine surreale
Poesie des Berliner Dichters P M Waschkau, um das ins Eis geschweißte theoretische
Projekt auf mythisch dichterischer Ebene abzutauen. Von Flugzeugfallen,
eingefrorenen Säften, Augen, die im Kühlschrank liegen und Schmelzfeuern für
Ikonen ist da die Rede, bis der mit "Nacht des Nordpols" betitelte
Text mit folgenden visionären Zeilen endet :
"Wir kamen bis hierher, es ist vorbei. Von Heißströmen
bedroht schmolzen die Schollen. Immerzu."
Werfen wir zuletzt einen Blick auf den Buchumschlag dieser Textsammlung.
Sogenannte Prototypen ähnlich roboterartigen Wesen aus dem 3. Jahrtausend zieren das Cover. Sie schauen
in die Ferne. Gleich ratlosen Schatten warten sie auf ihre Körper, die nicht
mehr kommen werden. Wie eine Hülle, wie eine Larve, wie präparierte Puppen
geistern diese Schatten erstarrt wie Mumien aus einer ungewissen Zukunft über
den Buchdeckel hinweg und schauen in die Zeiten.
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Die Textsammlung
"KONSERVIERUNG" mit Beiträgen von Vera Bourgeois, Michael Lingner,
Martina Koch, Pierangelo Maset, Gunto Otto, Karl Josef Pazzini und P M Waschkau
ist erschienen im Michael Kellner Verlag Hamburg 1994, 64 S. für 20,-DM #
CoverBILD „Prototypen“ by Pierangelo Maset # wahnfrieds „REZENSION“
verfasst 1995.