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paul m
waschkau # Bin auf Montage
# ZUR ANARCHIE DER WÖRTER REDE anlässlich einer Einladung der AutorInnengruppe
MINERVA nach Leningrad durch die „Vereinigung zeitgenössischer Literatur
KAMERA CHRANENIJA“ und des dortigen örtlichen Schriftstellerverbandes Meine sehr geehrten
Damen und Herren, ich bin gebeten worden, an dieser Stelle eintauchende Worte zu
den Inhalten und Intentionen der „Zeitschrift für (Literatur) Notwehr und
Philosophie“ MINERVA zu sprechen und eine Skizze der Berliner Literaturszene
zu entwerfen. Ich muß vorweg zugeben, daß weder ich noch jemand anderes von
uns wirklich dazu in der Lage ist und käme in Berlin, der BRD oder der DDR
jemand mit derselben Bitte auf uns zu, ich dem Fragenden (wie schon des
öfteren geschehen) mit einer gehörigen Portion Verachtung entgegenträte und
ihm schräge Sätze, die sich einer unmittelbaren Verständlichkeit entzögen,
zur freien Verfügung an den Kopf schleuderte, weshalb ich jetzt bedaure, daß
Agnes Vennen, die für solcherlei Anlässe/Späße stets literarische
„Gebrauchsanweisungen“ bereithält, nicht mit uns gekommen ist. Jedoch muß ich zugeben, daß diese unsere Leichtigkeit allein
dadurch ihr Spielerisches einbüßt, weil ich hier vor Ihnen in Leningrad in
einem Land spreche, dessen Sprache ich nicht verstehe, aber deren Klänge mich
faszinieren, ich vor Menschen spreche, deren Gebräuche ich nicht kenne und
von deren Problemen, was allein die Lebensbewältigung in der täglichen Beschaffung
von Grundnahrungsmitteln betrifft, ich nur aus den Nachrichten weiß. Ich kann
nicht einmal wissen, ob und inwieweit Sie mich hinsichtlich Ihrer Kenntnisse
der deutschen Sprache verstehen, ich aber, was man im allgemeinen die Kultur
eines Volkes nennt, die Ihrige als sehr nah der meinigen empfinde. Und
vielleicht ist die Empfindung viel wichtiger als das, was wir über die doch
sehr unsicheren Wege der Er/Kenntnisse voneinander wissen oder verstehen. In einer
Sprach- und Bild-Welt, die an allen Ecken und Enden nach teuflischer Klarheit
und verständlichem Klartext schreit und als Geisteskranker, Abartiger und
tendenziell Verrückter bloßzustellen versucht wird, wer noch an die KRAFT VON
LITERATUR glaubt – in dieser Welt ist es vielleicht eine letzte „STRATEGIE
DER SCHRIFT“ als Literatur und als Ideentransporteur, unserer Sprache und
unseren Worten einen „unenthüllten Rest des Geheimnisvollen“ (Hegel) zu
bewahren, will allein dieser Rest die Phantasie des Geistes mit dem lebhaften
Verlangen nach weiterer Entfaltung angesichts der Dinge beseelt. In diesem
Sinne wird in MINERVA, was das literarische Schreiben als Verdichtung von
ersterblicks nicht zusammengehörigen Worten betrifft, von einer – wie ich
glaube – bestenfalls „mangelhaften Berechenbarkeit von Worten“ beherrscht.
Nun ist aber der Mensch, der schreibt, wie der französische Philosoph Deleuze
schreibt, „niemals nur ein Schriftsteller. Er ist ein politischer Mensch, und
er ist ein Maschinenmensch, und er ist ein experimentierender Mensch.“ Und
selbstverständlich ist der Schriftsteller als Experimentator heutzutage mit
einem auswahlreichen Sortiment von Überspielkabeln ausgerüstet, die bis in
die anderen Köpfe, Medien, Kunstarten, Programme und Denkvorgänge hineinreichen. Nun wird
auf post-industriellem Gebiet derzeit alles getan, um Sprechmaschinen
auszurüsten, zu programmieren, um sie für eine Kommunikation untereinander zu
trainieren. Nicht mehr die Verständigung der Menschen wird zum Leitfaden
moderner Gesellschaften, denn die Kommunikation von Maschine zu Maschine und
in der Exaktheit wie der mathematischen Genauigkeit der Maschinensprache
manifestiert sich die Hartnäckigkeit der Maschinen, die das Ich als sprechendes
Subjekt aus der Kommunikationsgemeinschaft ausschließen. Ich
möchte jedoch davor warnen zu glauben, daß der gegenwärtige Mensch und
speziell in unserem Falle: Der schreibende Mensch das explizite Gegenteil
einer Maschine ist. Der schreibende Mensch selbst besteht aus Programmen und
Absichten, formalisierten oder willkürlich beeinflussten Denkvorgängen, die
der Schreibende „maschinell“ verwertet. Er ist sogar Teil dieser Verkettung.
Denn schreibend sitzt er vor der Maschine, steht an ihr im Copy-Shop oder
steckt in ihr als Konstrukteur, Demonteur oder als Schraube, die durchaus
parasitär sein kann. Dichter erscheinen zuweilen als reinster Typ des
Installateurs. Sie verdichten Offenes zu einer Dichte als Dichtung. Oft
gehen Schreibende auf Reisen und machen, Vehikel benutzend, Erfahrungen. Dann
hängt ein Schild an der Tür: Bin auf Montage / Beschaffe Rohstoff / Klaue
Material. Die Rohstoffe durchkreisen das Hirn, es wird protokolliert,
maschinell verarbeitet, experimentiert und das geklaute Material = Diebesgut
wird kaschiert, damit niemand es wiedererkennt und im permanenten Rattern der
Schreibmaschine verarbeitet, ausgespuckt. Der Drucker knattert noch, wenn
schon nicht mehr getippt wird. Sehr oft ist alles ein großes Gedröhne. Unter
dem Diktum moderner Gesellschaften als lärmende Wert- und Wortordnungen, daß
der praktische Text als Klartext dominieren soll, und nur noch Texte, die
maschinenlesbar sind, eine ‚öffentliche Chance’ haben, erscheint mir aber
aller Verstrickung zum Trotz, das Schweigen der Dichter (kurz vor dem Aussterben
dieser Gattung Mensch) als ebenso bedrohlich und dem Bösen verwandt wie der
Rückzug der Schreibenden ins stille Kämmerlein, wo sie sich in die Resignation
eingraben. Es ist vielleicht des Dichters Auftrag, den ihm niemand als er
selbst erteilen kann, gegen die Stahlmauern solcher Ordnungen anzusprechen, indem
er sie verunstaltet, und indem er die Worte neuer bislang unbekannter
Kopulationen preisgibt. Es kommt darum vielleicht nicht so sehr darauf an,
die alltäglichen Dröhnungen der barbarischen Zufälle und/oder den Krach
innerhalb des alltäglichen Geschwätzes zu übertönen (das gelingt sicher
keiner ernsthaften Literatur mehr), als vielmehr „das Eigene immer genauer
zur Sprache zu bringen“. Das kann soweit führen, daß das Eigenartigste nicht
mehr verstanden wird, und es doch noch das Wort des Dichters ist, seine
Stimme. Im klassischen Sinne des Verstandes könnt es immer unverständlicher
werden. Andererseits
besteht gerade hier die Aussicht, daß die eigen=artigste Sprache, wenn sie
gelingt, weil sie unverständlich für andere ist, bleibt. Zwar schreibt
Enno P. Gramberg in einem Text, den er pikanterweise IDENTIFIKATION nennt: Die
Zeit des Wortes ist gegangen, hat sich in Schemen schleierhaften Tages verflüchtigt,
sang- und klanglos; die Sprachnacht weiß nicht ein noch aus. Doch ist
gerade Gramberg unter uns der verwegenste Sprachtänzer im Bordell der freien
Wortverfügbarkeit, der sich – wie mir scheint, und im besten Falle weiß er
selbst davon gar nichts – über radikale Fluchtkorridore in Formidyllen der
Wortkopulationen austobt und im Zentrum der Sprache alles andere denn eine
Ebbe aufkommen lässt. Dabei ist völlig unerheblich, daß die Sprache, deren
Wirkung eher in einer Verschiebung, einem Gleiten besteht, offensichtlich
jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren hat. Denn es geht ihr im Taumel von
theatralischer Emphase und monologischem Tango gar nicht um die Abbildung des
Außen und auch nicht um die Unterdrückung des artikulierten Wortes und dessen
Sinns als darum, den Wörtern eine Bedeutung zu geben, die sie vielleicht im
Traum haben. Möglicherweise
– das Wissen um die Illusion stets vorausgesetzt – könnte es dem Dichter als
auch dem Schreibenden auf dese Weise gelingen, die Worte aus ihrer totalen
Praktikabilität zu entführen und die Sprache vor einem rein maschinellen
Dasein zu bewahren. Aber lassen Sie uns, bevor die
Sprachnacht uns endgültig ins Schwarze Loch zerrt, noch zuvor ein wenig
vom Hauch des Eventuellen kosten. # Vortrag
gehalten am 25.Sept.1990
/Gogol-Institut Leningrad & 26.Sept.1990 > Da/Net (Ja/Nein) – Theater
Leningrad. mit auf
Montage waren: Olaf Arndt; Andreas Dury; Enno P. Gramberg |
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> MINERVA LITboys met KAMERA
CHRANENIJA 1990 in LENINGRAD & BERLIN |
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intern/extern
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